Die Autorin, Designerin und multidisziplinäre Künstlerin Edith Young hat die Katalogisierung von Farbe zu ihrer Visitenkarte gemacht. Seit ihrem ersten Druck „The Reds of the Red Caps in Renaissance Portraits“, den sie während ihres Studiums der Fotografie an der Rhode Island School of Design anfertigte, hat Young eine humorvolle und wiedererkennbare Bildsprache entwickelt, die die Nuancen, Eigenheiten und Unheimlichkeiten der Verwendung von Farbe in der Kunst und im Alltag aufgreift.
„Das Konzept für eine Palette beginnt normalerweise mit der Wiedererkennung einer aus der Kunstgeschichte oder breiteren visuellen Kultur stammenden hyperspezifischen Typologie: ein Muster sehen und dessen Brotkrümeln folgen“, sagt Young und bezieht sich damit auf ihr Talent, Gemeinsamkeiten herauszufiltern. „Manchmal führt die Entdeckung einer merkwürdigen Sache zur Frage: Gibt es vielleicht noch mehr davon?“
Youngs Ansatz beschränkt sich nicht nur auf die Kunst, sondern erstreckt sich auch auf signifikante Epochen der Zeitgeschichte, seien es die Farbtöne der Kostüme der Eiskunstläuferin Tonya Harding oder die verschiedenen Abstufungen der gefärbten Haarpracht der Basketball-Ikone Dennis Rodman. Youngs erstes im Jahr 2021 veröffentlichtes Buch „Color Scheme“ schwankt herrlich zwischen Vergangenheit und Gegenwart und stellt in Frage, was traditionell als anspruchsvoll oder anspruchslos gilt.
„Bis ich 2017 die Filmbiografie ´I, Tonya´ sah, habe ich ausschließlich mit Material aus der Kunstgeschichte gearbeitet. Das brachte die Räder ins Rollen“, sagt sie. „Meine Mutter berichtete für die Sports Illustrated über die Olympischen Winterspiele 1994 in Lillehammer und die große Tonya/Nancy-Saga; mein Bruder und ich haben als Kinder also schon etwas von diesen beiden Persönlichkeiten mitbekommen. Die Anziehungskraft der persönlichen Anekdote verband sich mit den leuchtenden Farben der Mesh- und Spandexkleidung der 90er Jahre. Tonya war Self-Made-Woman. Da sie sich keine gekauften Kostüme leisten konnte, fertigte sie diese in Farben ihrer Wahl selbst an, sehr zur Bestürzung ihrer Punktrichter. Im Zuge der Überlegung, welche Themen der visuellen Kultur für das Projekt der größeren Palette in Frage kommen könnten, entschied ich mich, Tonyas Eiskunstlaufkostüme als kulturelle Artefakte zu betrachten, die ebenso untersuchungswürdig sind wie die roten Kappen der Renaissance-Porträts und die Pools von David Hockney.“
Es überrascht nicht, dass Youngs Gespür für Farben auch in ihrem Alltag eine signifikante Rolle spielt. In ihrem Newsletter ‚Powers of Observation‘ – der nebenbei einzigartige Aspekte ihrer Heimatstadt New York City registriert – erfährt man mehr über ihre Vorlieben für bestimmte Farbtöne. Diese experimentellen visuellen Essays wagen sich mit ihren Analysen in alle denkbaren Bereiche vor: von den Grüntönen in Manhattans Flower District bis hin zum spezifischen Rotton der Roosevelt-Island-Straßenbahn. Solche Beobachtungen werden von liebenswerten Betrachtungen begleitet, die die Essenz des Lebens im Big Apple einfangen.
„Die Serie ist ausgesprochen konzeptorientiert. Meine Lieblingsstücke fühlen sich sehr multimedial an: Emulgierende Sprache, Illustrationen, historische Recherchen, selbst aufgenommene Fotografien, solche, die in öffentlich zugänglichen Archiven gefunden wurden und aus meinem Familienarchiv geplünderte Fotos“, sagt sie.
„Farben verstärken mein Gefühl der Faszination für die mich umgebende Welt, und zwar auf subtile, viszerale Weise“, schließt sie. „Am Abend freue ich mich, wenn ich nach Sonnenuntergang die Farbe des New Yorker Himmels von meinem Fenster aus erblicken kann: Den letzten Atemzug des pigmentierten blauen Hyperlink-Lichts vor Einbruch der Dunkelheit.