ÖKOLOGISCHES DESIGN

Beim persönlichen Gespräch mit Marco Poletto und Claudia Pasquero, den langjährigen Partnern und italienischen Mitbegründern des in Ost-London ansässigen ecoLogicStudio, erliegt man sofort der Faszination ihrer experimentellen, wissenschaftlichen Arbeitsweise.

Den Platz des üblichen erlesen kuratierten Bücherregals als Hintergrund von Video-Chats nehmen drei riesige Glasröhren ein, Fotobioreaktoren, gefüllt mit einer Reihe bunter, sprudelnder Substanzen. „Es sind drei essbare Mikroalgenstämme, die wir kultivieren“, erklärt Poletto. „Porphyridium ist weinrot, Chlorella gelbgrün und Spirulina von so dichtem grünblau, dass es fast schwarz wirkt.“ Die Algen sind Teil der vom Studio entwickelten postpandemischen Strategien; man untersucht, auf welche Weise die städtische Bevölkerung pflanzliche Proteine anbauen kann. Hierbei geht es nicht nur um die Lieferung von Lebensmitteln; auch Kohlendioxid wird absorbiert, gleichzeitig werden Häuser effizienter mit Sauerstoff versorgt, als dies durch den Einsatz von Zimmerpflanzen geschieht. „Die Kinder lieben die Ernte. Letzte Nacht haben wir Spirulina-Brot gebacken“, erzählt Pasquero“, Spirulina hat einen ziemlich scharfen Geschmack, irgendwo zwischen Gras und Nüssen.

„Ist das Architektur?“ fragen Sie vielleicht. Auf der Website von EcoLogicStudio findet sich die Eigendefinition „Architektur- und Städtebaupraxis, spezialisiert auf Umweltdesign, städtische Autarkie und gebäudeintegrierte Natur“. Letztendlich entzieht sich die 2005 gegründete Firma mit ihren Vorreiterideen jedoch einer einfachen Kategorisierung.

„Wir mögen keine Labels, da sie reduktionistisch sind und Disziplinen einengen“, sagt Poletto, der neben Pasquero am Polytechnikum Turin Ingenieurwissenschaften studierte, bevor sie die Londoner Architectural Association besuchten. Dort und an der Bartlett School of Architecture nahmen beide später eine Lehrtätigkeit auf. „Wir ändern unsere Berufsbezeichnung gerne je nach Umgebung“, sagt Poletto. „Wenn wir jedoch die Art und Weise, wie Technologie und Natur zusammengehen, neu konzipieren wollen, müssen wir die Wege neu beschreiben.“
Pasquero zitiert Gregory Batesons einflussreiches Buch „Steps to an Ecology of Mind“ aus dem Jahre 1972, das den Namen ihres Studios inspirierte und dessen Inhalte grundlegenden Einfluss auf ihr Arbeitsethos haben. Bateson stellte die These auf, dass die Probleme der Welt auf den Unterschied zwischen der Funktionsweise der Natur und der Denkweise der Menschen zurückzuführen sind. Die Projekte von ecoLogicStudio befassen sich damit und versuchen, einen Paradigmenwechsel vom Anthropozän zu einer neueren, besser vernetzten Welt einzuleiten, in der Menschen, nichtmenschliche Spezies und Mikroorganismen ganzheitlich und effektiv zusammenarbeiten. Dies ist eindeutig keine leichte Aufgabe, und ecoLogicStudio arbeitet mit Biologen, Ingenieuren, Künstlern, Computerwissenschaftlern und Programmierern zusammen – ganz zu schweigen von Algen, Pilzen, Schleimpilzen, Spinnen und Seidenraupen – um die Brücke von der Theorie zur Praxis schlagen zu können.

Eine fortlaufende Initiative ist das 2018 gegründete Konsortium ´PhotoSynthEtica´, dessen Forschung in Zusammenarbeit mit dem Urban Morphogenesis Lab von Bartlett und dem Synthetic Landscape Lab der Universität Innsbruck durchgeführt wird, wo Pasquero derzeit eine Professur für Landschaftsarchitektur innehat. Dabei entstanden mehrere architektonische Maßnahmen, Kunstinstallationen (Pasquero studierte auch Theater und ist ein begeisterter Befürworter von Kunst und ihrem Potential, Ideen Ausdruck verleihen zu können) und ein umweltfreundlicher Stadtmasterplan für Tallinn, Estland.

Visualisierung ist der Schlüssel, um die Köpfe der Menschen dafür zu öffnen, wie zukünftige utopische Bio-Städte funktionieren könnten. Der Photo.Synth.Etica ´Biovorhang´ ist hierfür ein brillantes Vorzeigeprojekt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine halbtransparente grüne lebende Lunge voller Bakterien, die den Gebäudefassaden vorgesetzt werden kann. Photo.Synth.Etica kann täglich die einem Äquivalent von bis zu 20 Bäumen entsprechende Menge an Kohlendioxid binden und liefert so Photosynthese in großem, leistungsfähigen Maßstab. Verunreinigte Stadtluft tritt an der Basis des Vorhangs ein und steigt nach oben. Bei diesem Prozess leisten die enthaltenen Algen ihre Arbeit: Die Verschmutzung wird beseitigt, das Kohlendioxid gebunden und Sauerstoff wird freigesetzt. Die Lumineszenz der Mikroalgen lässt den Vorhang darüber hinaus bei Nacht leuchten. Der Vorhang wurde bereits 2018 im Dubliner Printworks Building verwendet.

„Unsere Arbeit soll neue Elemente vorschlagen, mit denen eine neue Art von Landschaft entstehen kann, die dem Menschen Interaktion und direkten Kontakt mit den Prozessen ermöglicht“, erklärt Paquero. „Damit es auf der ganzen Welt mehr Selbstorganisation bezüglich der von uns genutzten Ressourcen gibt.“

Das Interesse an der Arbeit von ecoLogicStudio ist in den letzten zwei Jahren exponentiell gewachsen, da ein stärkerer Fokus auf die Verwendung von Biomaterialien in Design und Architektur als Reaktion auf die wachsenden Bedenken hinsichtlich Klimawandel gesetzt wird. Pasquero zeigt mir ein Bio-Leder, das aus denselben Bakterien „gewachsen“ ist, aus denen Kombucha hergestellt wird.

Es stand gerade die Teilnahme an Mailands jährlichem Designfestival auf Einladung der Modemarke Cos an, die jedes Jahr eine pressewirksame, immersive Installation sponsert. In Fortführung des Themenbereichs Photosynthese reichte ecoLogicStudio einen Vorschlag für das Kanalsystem der Stadt ein, der auf Leonardo da Vincis Studien zu Wasserturbulenzen basierte. Traurigerweise liegt das Projekt wie so viele andere aktuell auf Eis. Andere Arbeiten gehen jedoch weiter. Das Studio erforscht die biologische Infrastruktur von Schleimpilzen und entwickelt einen neuen Filter und Bioreaktor (der Ende August auf der Biennale in Venedig vorgestellt wird) und ihr vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen finanziertes Deep Green-Projekt. Letzteres nutzt künstliche und biologische Intelligenz, um neue grüne Wirtschaftssysteme in der Stadt zu schaffen.

Das günstigste Szenario in Bezug auf die aktuelle Pandemie ist, dass sie den Anliegen des Studios breiteres Gehör verschafft, da die Menschen erkennen, dass sie nicht ohne schwerwiegende Folgen fortgesetzten Raubbau an den natürlichen Ressourcen betreiben können und Faktoren wie Umweltverschmutzung zum Beispiel auf Covid 19 verschärfende Effekte haben. „Es muss ein neues transparentes und integriertes System geben, das eine ökosystemische Sicht auf unsere Städte, den öffentlichen Raum usw. bietet“, schließt Poletto. Stellen Sie sich vor, ein solches Denken wird viral. Wir befinden uns sicher gerade in einer Zeit, wo wir uns fragen müssen, ob es die Natur nicht doch am besten weiß... bevor es zu spät ist.