STAR AXIS

Nach vierundvierzig Jahren Bau macht der Künstler Charles Ross eine Pause, um über sein Lebenswerk nachzudenken: ein Observatorium für das bloße Auge, tief versteckt in den Wüsten New Mexicos.

Nach vierundvierzig Jahren Bau macht der Künstler Charles Ross eine Pause, um über sein Lebenswerk nachzudenken: ein Observatorium für das bloße Auge, tief versteckt in den Wüsten New Mexicos.

Die Nächte sind dunkel und die Mesas abgelegen, aber die Sterne stehen klar und deutlich am Wüstenhimmel. Es ist diese räumliche Dynamik, die den Künstler Charles Ross 1971 aus den Galerien von New York City nach New Mexico zog, auf der Suche nach einem Ort Star Axis", das architektonische Observatorium, dessen Konzeption und Bau nun schon seit 49 Jahren fortdauert.

„Anfangs war ich mir nicht ganz sicher, nach welchen ländlichen Eigenschaften ich eigentlich suche“, sagt Ross über seine vierjährige Suche im gesamten Südwesten. „Als ich endlich diese Mesa (Tafelberg) fand, wurde mir klar, dass dies ein Ort an der Grenze zwischen Erde und Himmel war.“

Star Axis ist beides: Sowohl Skulptur als auch Wissenschaft. Die Beziehung zur Astronomie erinnert an die Pyramiden des alten Ägypten. Die Struktur erhebt sich auf elf Stockwerken und erstreckt sich über eine Zehntelmeile (ca. 160 m). Sie hat fünf charakteristische Elemente: Zwei Kammern, eine 147-stufige Treppe, eine Pyramide und das angrenzende ´Schattenfeld´, über das sich der Umriss der Pyramide im Wechsel des Wüstenlichts bewegt. Die miteinander verbundenen Komponenten sind exakt kalibriert, damit der Betrachter die Beziehung zwischen Zeit und Himmelsbewegung erleben kann. Das Projekt ist ein gewaltiges Unterfangen bestehend aus Sandstein, Bronze, Granit, Edelstahl und roher Erde, direkt in die obere Ebene des Taflelbergs gebaut.

„Das Werk sollte sich aus der Erde erheben“, sagt Ross, „nicht daraufgesetzt werden.“

Der zweiundachtzigjährige Künstler telefoniert mit uns von der 85 Meilen von Santa Fe entfernt gelegenen Baustelle aus. Der Bau des Projekts, jetzt in seinem 44. Jahr, geht trotz der Pandemie weiter, obwohl das Team aktuell kleiner ist. Anstatt zwischen seinem Haus in New York City und Star Axis zu pendeln, planen er und seine Frau, die Malerin Jill O'Bryan, in der Wüste New Mexicos zu bleiben, bis ein Impfstoff entwickelt wird.

In der Zwischenzeit werden die Arbeiten an ´Star Axis´ fortgesetzt. Ross und sein Team beenden diese Woche die untere Hälfte des Baus: Ein langer, unter Verwendung antiker römischer Bautechniken realisierter Zugang, der 75 Fuß tief in den Boden gegraben ist. Hier werden Besucher „in die Erde eintreten, um die Sterne zu erreichen“, erklärt Ross. Als nächstes geplant ist die Installation der Bank in der ´Hour Chamber´ und der Verschluss der Solarpyramide. Ross ist darüber hinaus noch auf der Suche nach einem institutionellen Partner für den Betrieb von ´Star Axis´ nach dem Zeitpunkt der Fertigstellung. Er schätzt, dass es im Jahr 2023 soweit sein wird. Bis dahin bleibt die Anlage für die Öffentlichkeit gesperrt.

Star Axis wird oft als Beispiel für Land Art angeführt. In der revolutionären Zeit der 1960er und 1970er Jahre verwendeten Künstler mit konzeptionellem Ansatz wie Robert Smithson und Michael Heizer (dessen fortlaufendes Projekt „City“ im nahe gelegenen Nevada liegt) Maßstab und natürliche Elemente, um raue Landschaften in große totemartige Skulpturen zu verwandeln, bekannt als Earthworks (Erdarbeiten).

Bei dem in Pennsylvania geborenen Ross war der Ansatz interdisziplinär. Ross studierte Mathematik an der UC Berkeley, bevor er seinen Master in Bildhauerei machte. Seine Arbeit mit Acrylprismen ab den 1960er Jahren zeigt seine Faszination für das Thema Licht. In späteren Werken wie „Sunlight Convergence/Solar Burns“ wechselte Ross den Fokus seiner Arbeit vom Zerstreuen des Licht hin zu dessen Bündelung, wobei er mithilfe riesiger Linsen Sonnenstrahlen auf Holztafeln projizierte. Die daraus resultierenden fesselnden grafischen Brandmuster zeichneten die Bahn der Sonne am Himmel nach; durch diese Arbeiten fand der Künstler zu einer vertiefenden Beschäftigung mit der Astronomie.

Obwohl in der Erde verankert, ist Star Axis in Richtung Himmel orientiert. Jeder Aspekt des Projektentwurfs basiert auf Sterngeometrie: Die Breite eines dreieckigen Fensters, der Winkel einer Kalksteinwand, der Abstand zwischen einzelnen Stufen. Alle wandeln die räumlichen Informationen über den Himmel über uns um und liefern ein Bild über die Bewegungen der Himmelskörper im Zeitverlauf.

Der zentrale Star Tunnel (Sterntunnel) beispielsweise ist an der Erdachse ausgerichtet. Wenn ein Besucher die Treppe hinaufsteigt, erlebt er den 26.000 Jahre alten Präzessionszyklus der Erde, ihre phasenweisen Abweichungen von der Rotationsachse, sichtbar durch ein Portal oben im Tunnel. Die sich erweiternde Perspektive des Himmels zeigt die sich im Zeitverlauf wandelnde Umlaufbahn des Polarsterns. Ross arbeitete mit dem Team der University of Washington’s Department of Astronomy zusammen, um den Treppen genaue Daten zuzuordnen. Kleine Inschriften auf den Handläufen lassen den Besucher seinen Fortschritt von 11.000 v. Chr. bis 15.000 n. Chr. nachvollziehen.

Die eingelassenen Gleichungen bieten dem Besucher ein tieferes Verständnis für Star Axis. Vielleicht erkennt auch etwas Ursprüngliches in unserem Körper die Kraft planetarer Mathematik, selbst ohne dabei jeden Winkel zu kennen.

„Star Axis bietet eine Ganzkörpererfahrung der Sterngeometrie“, sagt Ross, „und was diese in Ihnen wecken könnte.“

"Das Element sollte sich aus dem Land heraus erheben und ihm nicht aufgezwungen werden." - Charles Ross